In früheren Jahren galten die EU-Institutionen als Versorgungsinstitutionen für verdiente nationale Politiker. Wer im Europäischen Parlament oder in der EU-Kommission angekommen war, hatte seine politische Karriere meistens hinter sich. Das hatte damit zu tun, dass das Parlament in den ersten Jahren nur wenige legislative Kompetenzen hatte.

Das Bild hat sich radikal geändert und die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission sowie die aktuelle Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs in der EU sind ein eindeutiger Beleg dafür, dass die Bedeutung der europäischen Institutionen zugenommen hat.

 

Der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker gehören fünf ehemalige und amtierende Regierungschefs an - neben Juncker selbst und Valdis Dombrovskis (Lettland), Alenka Bratusek (Slowenien), Andrus Ansip (Estland) und Jyrki Katainen (Finnland).

Besonders interessant sind die Fälle von Valdis Dombrovskis, der lange EU-Abgeordneter war, anschließend Ministerpräsident in Lettland und nun Vizepräsident der EU-Kommission mit weitreichenden Befugnissen wird, und Jyrki Katainen, der als amtierender Regierungschef sich entschlossen hat, Mitglied der EU-Kommission zu werden. Sein Nachfolger ist Alexander Stubb, der ebenfalls lange Europaabgeordneter war. Das heißt, ein Regierungschef hält die EU-Kommission für eine attraktive Alternative zur nationalen Politik und ein Europaabgeordneter wird sein Nachfolger. Sowohl Dombrovskis als auch Stubb und Katainen sind deutlich unter 50 Jahre alt.

Bei den amtierenden Staats- und Regierungschefs gibt es mit Alexander Stubb (Finnland), Antonis Samaras (Griechenland), Helene Thorning-Schmidt (Dänemark), Elio di Rupo (Belgien), Toomas Hendrik Ilves (Estland), Robert Fico (Slowakei) und Janos Ader (Ungarn) sieben zum Teil langjährige Europaabgeordnete.

In Deutschland sind prominente Beispiele für ehemalige Europaabgeordnete, die nun in der ersten Reihe der nationalen Politik stehen oder standen, Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, der ehemalige Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU im Bundestag Friedrich Merz, CDU-Vize Armin Laschet und Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller.

Fazit:
Das alte Vorurteil, dass altgediente Herren im Europäischen Parlament nochmal eine Ehrenrunde drehen und dass die EU-Politik praktisch ohne Einfluss ist, wurde selten so klar entkräftet wie aktuell. Die Befugnisse von EU-Kommission und Parlament sind unzweifelhaft so wichtig, dass sich auch Personen aus der ersten Reihe der nationalen Politik für diese Arbeit interessieren.