EU Energie Klima Industrie Interview
Interview: Wolf von Dewitz, dpa


Die EU setzt in ihrer Klimapolitik auch auf Stromsparen - aber eher am Rande.
Ein EU-Parlamentarier der CDU fordert Tempo in der Energieeffizienz, etwa mit
einem Pflichtziel für 2030. Dass Berlin so ein Ziel nicht energisch unterstützt,
findet er enttäuschend.

Brüssel (dpa Insight) - Der EVP-Umweltsprecher im Europaparlament, Peter Liese
(CDU), dringt auf ein europaweites Pflichtziel zum Stromsparen im Jahr 2030. Eine
verbindliche Vorgabe für die Energieeffizienz-Richtlinie sei unbedingt nötig, um
Europa auch im nächsten Jahrzehnt auf Klimaschutz-Kurs zu halten, sagte Liese im
Insight-EU-Interview. Hier wäre ein Wert von 35 Prozent besserer Effizienz sinnvoll
- für das Jahr 2020 gilt derzeit ein unverbindlicher Wert von 20 Prozent. Zwei
Ausschüsse des Europaparlaments gehen sogar noch weiter als Liese, sie fordern für
2030 einen Wert von 40 Prozent, den der CDU-Mann aber zu hoch findet.

Ein Effizienzziel sei wichtiger als eine neue Pflichtvorgabe für den Ausbau
von Windrädern und Solarkraft, meint der Umweltpolitiker. Liese ist zwar auch bei
Erneuerbaren für ein verbindliches Ziel, dies könnte in anstehenden Verhandlungen
aber notfalls im Tausch für eine Effizienzpflicht «geopfert» werden.

Die Energieeffizienzrichtlinie aus dem Jahr 2012 schreibt für 2020 ein Ziel
von 20 Prozent weniger Energieverbrauch vor. Vergleichswert ist eine Prognose von
2007 über den Energieverbrauch im Jahr 2020, wenn keine Effizienzvorgaben gemacht
würden. Das Ziel ist aber unverbindlich. Es gibt jedoch verbindliche Maßnahmen -
so sollen Energieversorger jedes Jahr 1,5 Prozent weniger Strom und Wärme an ihre
Endkunden verkaufen. Doch selbst wenn alle Maßnahmen wie vorgeschrieben umgesetzt
werden, wird das 20-Prozent-Ziel wohl um drei Prozent verfehlt. Das räumt selbst
die EU-Kommission ein.

Liese räumt ein, dass die Energieeffizienz in der EU bisher eher
vernachlässigt worden sei. Das müsse sich dringend ändern. Dass sich der deutsche
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in Brüssel für verbindliche Ziele zur
CO2-Reduktion und zum Ausbau der Ökoenergien einsetzt, die Energieeffizienz aber
nur am Rande erwähnt, findet Liese enttäuschend. Außerdem machte der CDU-Politiker
seinem Unmut Luft, dass sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag nicht auf die
steuerliche Förderung von Gebäudesanierungen verständigt haben.

dpa: Sie fordern drei verbindliche Klimaschutzziele im Jahr 2030. Das ist
durchaus ambitioniert - vielleicht zu ambitioniert?

Liese: «Ich bin mit meiner Position auf Linie der deutschen Bundesregierung - im
Koalitionsvertrag steht, dass Deutschland sich für drei Ziele ausspricht, und dass
wir mindestens 40 Prozent von CO2-Reduktion bis 2030 haben wollen. Das ist klar
verankert.»

dpa: Aber besonders ein verbindliches Effizienzziel, wie Sie und die beiden
Parlamentsausschüsse für Umwelt und Industrie es fordern, erscheint angesichts
der Stimmungslage in der Kommission und im Rat nicht umsetzbar. Oder liege ich da
falsch?

Liese: «Es war in der Vergangenheit ein Fehler, die Energieeffizienz so sträflich
zu vernachlässigen, schließlich handelt es sich um den kostengünstigen Teil der
Energiewende. Den Fehler müssen wir korrigieren, und das geht am besten mit einem
verbindlichen Effizienz-Ziel für 2030.»

dpa: Die EU-Kommission argumentiert, dass die Richtlinie ja erst 2012
verabschiedet wurde und noch gar nicht genug Erkenntnisse über den Weg bis 2020
vorliegen, als dass man die Schraube für 2030 schon anziehen könnte.

Liese: «Die Argumentation der Kommission ist nicht schlüssig. Denn die
Evaluation bezieht sich nur auf die Frage, ob die bestehenden Instrumente für das
Erreichen des 2020-er Ziels ausreicht. Wenn nicht, brauchen wir ein verbindliches
Ziel für 2020 [Anmerkung der Redaktion: Bisher ist das Effizienzziel für 2020
unverbindlich]. Davon unabhängig muss man die Frage nach dem Ziel 2030 betrachten.
Wenn ein Schüler in der achten Klasse schlecht ist und die Versetzung gefährdet
ist, muss man sich doch trotzdem fragen, was soll der Schüler in der neunten Klasse
lernen? Zu sagen, wir befassen uns mit den Lehrbüchern für die neunte Klasse erst
gar nicht, weil der ja noch mit dem Stoff für die achte Klasse kämpft - das geht
nicht.»

dpa: Es steht wohl fest, dass es ein CO2-Reduktionsziel geben wird. Strittig ist
nun die Frage, ob es daneben noch ein zweites Ziel gibt - da erscheint es derzeit
doch am wahrscheinlichsten, dass es hierbei um den Ausbau der Erneuerbaren gehen
würde.

Liese: «Sollten wir uns nur auf zwei Ziele festlegen, dann sollten wir uns eher
auf die Energieeffizienz verständigen. Dann sollte im Zweifel das Erneuerbaren-Ziel
geopfert werden, weil Energieeffizienz einfach der kosteneffizienteste Weg ist.
Am besten wären allerdings drei verbindliche Ziele. Schauen Sie mal in das Ende
2013 geleakte Impact Assessment der Kommission hinein: Da steht, dass ein Ziel
allein eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums bedeutet, während drei Ziele das
Wirtschaftswachstum verbessern würden.

Das ist doch auch logisch: Denn wenn ich nur das CO2-Ziel hätte, könnte man nur
auf CCS und Kernenergie setzen - was ein bisschen die britische Linie ist, und dann
würde das weniger Arbeitsplätze und damit weniger Wachstum schaffen, als wenn ich
vor allem Energieeffizienz und Erneuerbare in den Fokus nehme.»

dpa: Ich frage mich, wie viel politischer Wille für ein neues Stromsparziel für
2030 auf EU-Ebene tatsächlich vorhanden ist.

Liese: «Es ist nicht beliebig, ob wir uns engagieren. In dem seit Lissabon
gültigen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist im Artikel
176 festgelegt, dass sich die EU für Energieeffizienz und Erneuerbare Energien
einsetzt. Wir können also nicht sagen, "wir lassen es jetzt mal". Im Gegenteil: Das
ist eine Vertragsverpflichtung, die ökonomisch zudem Sinn macht. Was wir derzeit
hingegen machen, macht keinen Sinn: Dass wir uns sehr, sehr stark auf Erneuerbare
Energien konzentrieren und die Energieeffizienz als Waisenkind vernachlässigen.»

dpa: Die Wirtschaftsverbände BDI und BDEW bemängeln, dass durch die aktuellen
drei Ziele keine einheitliche EU-Klimapolitik möglich sei, stattdessen gebe es
separate, unkoordinierte Handlungsstränge, bei denen die Zwischenbeziehungen unklar
seien. Das Problem würde mit einer abermaligen 2030-er Trias an Zielen fortgesetzt.

Liese: «Das ist ein Märchen, das immer wieder wiederholt wird. Es stimmt nicht,
dass die Beziehungen zwischen den beiden verbindlichen Zielen zur CO2-Reduktion und
Erneuerbaren nicht kompatibel sind. Wir sind in Europa genau auf dem vorgesehenen
Ausbaupfad, Wind- und Solarkraft wachsen im Schnitt genauso schnell wie es laut
Richtlinie geplant ist. Wer sagt, das Wachstum der Erneuerbaren Energien sei das
Problem des Emissionshandels, der hat die Zahlen nicht gelesen.
Anders ist es bei der Energieeffizienz - deren Einfluss auf das CO2-Ziel wurde
tatsächlich nicht festgelegt. Das war damals in 2008 ein Fehler. Nun heißt es:
Wenn wir für 2030 drei verbindliche Ziele haben, müssen wir die Wechselbeziehungen
dieser verschiedenen Ziele einrechnen - aber das geht, man muss es nur wollen. Man
darf das nur nicht so stümperhaft machen wie das letzte Mal, als man zwei Ziele
festgelegt und erst danach ein drittes Ziel drangepappt hat.»

dpa: Die Bundesregierung fiel am Verhandlungstisch in den vergangenen Jahren bei
Klimathemen eher durch demonstratives Schweigen auf, ob bei der Energieeffizienz
oder Emissionshandel-Reform Backloading. Ist das Schnee von gestern - wird
Deutschland jetzt wieder Tempo machen beim Klimaschutz?

Liese: «Deutschlands Position war bei Klimathemen lange nicht klar, weil
sich Wirtschaftsminister Rösler und Umweltminister Altmaier nicht verständigen
konnten. Jetzt gibt es aber einen Koalitionsvertrag, wo drei Ziele drinstehen. Da
hoffe ich schon, dass es einen Effekt auf die Diskussion im Rat haben wird, wenn
sich der größte Mitgliedstaat endlich mal positioniert.
Natürlich wird das kein Selbstläufer, weil die anderen Mitgliedstaaten in der
Tat sehr zögerlich sind. Aber bei den Verhandlungen zu den 2020-er Klimazielen
2007/2008 war es ähnlich. Zunächst waren auch nur drei, vier Mitgliedstaaten plus
Parlament und Kommission für ein verbindliches Ziel bei Erneuerbaren - am Ende
waren es alle. Angela Merkel hat damals auf dem Gipfel alle Skeptiker überzeugt.
Ähnliches ist jetzt zumindest möglich.»

dpa: Aus Ihrer Sicht ist aus der Kommission wenig Ermutigendes zu hören: Bei
einem internen Treffen am vergangenen Freitag wurde klar, dass Klimakommissarin
Connie Hedegaard in ihrem Werben für ein verbindliches Erneuerbaren-Ziel weitgehend
allein da steht. Außerdem ist ein Effizienz-Ziel kein Thema. Ist der Parlaments-
Bericht also nur Wunschdenken?

Liese: «Noch ist in der EU-Kommission nichts entschieden. Ich halte die
Festlegung eines verbindlichen Ziels für erneuerbare Energien für möglich. Bei
der Energieeffizienz wird die Entscheidung zwar leider verschoben. Aber Ende
des Jahres könnte auch hier ein großer Fortschritt erzielt werden. Nach der
Entscheidung der Kommission geht es ja erst richtig los und das Parlament wird im
Mitentscheidungsverfahren selbstbewusst auftreten, das ist also keinesfalls nur
Wunschdenken.»

dpa: Wie könnte man den Kritikern im Rat - etwa Polen - entgegenkommen?

Liese: «Es gibt es viele Möglichkeiten zu sinnvollen Kompromissen. Man kann
bei den Erneuerbaren flexibler sein und den Mitgliedstaaten entgegenkommen, die
Schwierigkeiten haben. Man kann vielleicht bei der Frage, wie hoch diese Ziele pro
Staat sein müssen, Kompromisse machen.»

dpa: Was meinen Sie mit "flexibler sein"?

Liese: «Es gibt eine Überlegung, die besser wäre als nur ein CO2-Ziel. Und
zwar ein kombiniertes Ziel für Erneuerbare und Effizienz. Die EU-Staaten könnten
wählen, ob sie ihre Priorität auf bessere Energieeffizienz oder den Erneuerbaren-
Ausbau setzen. Sagen wir, jeder Staat müsste je 25 Prozent Effizienz verbessern und
Erneuerbare ausbauen - und obendrauf können die Staaten wählen, ob sie weitere 5
oder 10 Prozentpunkte machen bei der Effizienz oder bei Erneuerbaren. Kollegen aus
dem Industrieausschuss, etwa der Spanier Vidal Quadras, unterstützen diesen Ansatz.
Auch wenn ich den Ansatz nicht unterstütze, eine gewisse Logik hätte so ein Weg.»

dpa: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich Europa
tatsächlich in Ihrem Sinne für drei verbindliche Klimaziele 2030 entscheidet?

Liese: «Natürlich ist das nicht sicher. Und die Wahrscheinlichkeit ist
nicht unbedingt höher als 50 Prozent. Aber ich würde es nicht unterschätzen,
wenn wir eine Parlamentsposition haben und eine klare Äußerung der
deutschen Bundesregierung. Das wird nicht ohne Wirkung bleiben.»

dpa: Wie viel Prozent sollen es denn sein?

Liese: «Mindestens 40 Prozent CO2, 35 Prozent Effizienz und 30 Prozent
Erneuerbare. Die Parlamentsausschüsse für Umwelt und Industrie haben meine
Forderung nach drei verbindlichen Zielen bestätigt.»

dpa: Nicht nur bestätigt, sondern bei der Energieeffizienz wurden sogar 40
Prozent als Forderung beschlossen. Ist man da über das Ziel hinausgeschossen?

Liese: «Ich finde es sehr wichtig, dass die zuständigen Ausschüsse des Parlaments
ein politisches Signal gegeben haben, dass Energieeffizienz in den Vordergrund
gerückt werden muss. Aber natürlich sind die 40 Prozent eine Verhandlungsbasis.
Wir können auch mit einer niedrigeren Zahl leben, solange klar ist, dass wir
Energieeffizienz zu einer neuen Priorität machen.»

dpa: Sie sprachen bereits an, dass die Bundesregierung in Brüssel wieder für
mehr Klimaschutz eintritt - Bundeswirtschaftsminister Gabriel schrieb kürzlich
gemeinsam mit EU-Amtskollegen separate Briefe an die Kommission mit der Forderung
nach 40 Prozent CO2-Reduktion und einem Erneuerbaren-Ziel. Ein Effizienz-Ziel hat
er in den Briefen hingegen nicht explizit gefordert.

Liese: «Genau das ist meine Kritik an Herrn Gabriel. Es ist enttäuschend, dass
er die Energieeffizienz nicht in gleicher Weise fordert wie die CO2-Reduktion und
den Erneuerbaren-Ausbau. Ich hoffe, dass ich ihn zu etwas mehr Priorität auf die
Effizienz ermuntern kann.»

dpa: Wo wir schon bei Kritik an deutschen Politikern sind – sind Sie eigentlich
enttäuscht von Ihrem deutschen Parteikollegen Günther Oettinger? Der ist im
Kollegium offenbar nur für ein CO2-Ziel, während er Klimakommissarin Hedegaard mit
ihrem Wunsch nach mehr Klimaschutz-Tempo im Regen stehen lässt.

Liese: «Kommissar Oettinger hat mir persönlich zugesagt, dass er für ein
verbindliches Ziel im Bereich der erneuerbaren Energien eintritt. Ich nehme
ihn beim Wort. Gleichzeitig teile ich seine Auffassung, dass der Ausbau der
erneuerbaren Energien in Europa besser koordiniert werden muss und kostengünstiger
erfolgen muss.»

dpa: Würden Sie mir widersprechen, wenn ich Herrn Oettinger inzwischen eindeutig
in der Industrieecke verorte - weit, weit entfernt von der Klimaschutz-Umweltecke?

Liese: «Ich halte überhaupt nichts davon, Leute in irgendeine Ecke zu stellen. Es
ist ein legitimes Anliegen, darauf zu achten, dass die energieintensive Industrie
nicht aus Deutschland und Europa vertrieben wird. Aber es ist möglich, trotzdem
ambitionierte Klimaziele zu erreichen. Gerade Deutschland ist ein gutes Beispiel.
Wir haben unsere Kyoto-Ziele übererfüllt und sind trotzdem eine sehr erfolgreiche
Volkswirtschaft, vor allem verglichen mit anderen Ländern im Euroraum, die für den
Klimaschutz weniger getan haben.»

dpa: Als die Effizienz-Richtlinie 2012 beschlossen wurde, war von deutscher
Seite immer wieder ein Argument zu hören: "Wir haben doch schon soviel gemacht -
und weil wir schon so ein hohes Effizienzlevel haben, sind weitere Verbesserungen
umso teuer." Günstiger wären Stromsparmaßnahmen hingegen in Staaten mit
niedrigem Effizienzniveau, ob in Osteuropa oder in Großbritannien mit den
einfachverglasten Wohnhäusern. Sollten andere EU-Staaten bei einem möglichen
Effizienzziel 2030 daher mehr schultern als Deutschland?

Liese: «Wenn wir unsere Energiewende ernst nehmen, dann müssen wir auch
in Deutschland unsere Energieeffizienz noch deutlich verbessern. Wir haben
noch riesige Potenziale. Es ist nicht richtig, dass wir in Deutschland keine
Energieeffizienz-Potenziale haben. Wir müssen uns in Deutschland auch in diesem
Bereich als Motor verstehen und nicht als Bremser.»

dpa: Das größte Potenzial liegt im privaten Gebäudebereich. Wie kann das
angepackt werden?

Liese: «Ich bin sehr verärgert, dass wir es im Koalitionsvertrag nicht geschafft
haben, die steuerliche Förderung von Gebäudesanierungen reinzuschreiben. Ich hoffe
aber, dass wir das noch schaffen. So ein europäisches Ziel kann uns dabei helfen.
Denn all diejenigen, die solch steuerliche Förderungen für Sanierungen nicht
wollen, müssten dann Alternativen vorschlagen, die im Zweifel unbeliebter sind.
Daher wäre ein verbindliches Effizienzziel auf EU-Ebene ein Hebel für die
steuerliche Förderung von Gebäudesanierungen in Deutschland. Hierbei fließt das
Geld durch die ausgelösten Investitionen dreifach an den Finanzminister zurück -
wenn ich ein Gebäude saniere, verdient jemand dran, der wieder Steuern bezahlt.»

: dpa