Peter Liese: Mindestens Einzelfälle in allen europäischen Ländern zu erwarten, aber EU ist gut vorbereitet / Impfstoffe für Risikogruppen stehen schon zur Verfügung / Mitgliedstaaten sollen EU-Instrumente nutzen, um koordiniert zu handeln / Meilenweit von ‚Corona‘-Szenario entfernt, aber Wachsamkeit und gezieltes Handeln notwendig / Hilfe für Afrika humanitäres Gebot und im eigenen Interesse

„Die Europäische Union ist gut auf den Ausbruch der neuen Variante von Mpox (früher ‚Affenpocken‘) Klade I Typ 2 vorbereitet“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP, Christdemokraten), Dr. med. Peter Liese angesichts des zweiten offiziellen Mpox-Falls außerhalb Afrikas. Am Donnerstagabend war bekannt geworden, dass ein Europäer, der von Afrika nach Thailand gereist ist, mit der neuen Variante der Mpox infiziert wurde. „Aufgrund der intensiven Reisetätigkeit zwischen den betroffenen afrikanischen Ländern und Europa, rechne ich damit, dass es mindestens Einzelfälle in allen europäischen Staaten geben wird. Trotzdem sollten wir aber alle ruhig bleiben. Es gibt bereits Impfstoffe und die Risikogruppen können kurzfristig geimpft werden. Die Europäischen Institutionen, insbesondere die nach Corona neu geschaffene Einheit der Kommission ‚HERA‘ (European Health Emergency Response Authority; Dt.: Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen) hat in 2022 mit dem deutsch-dänischen Impfstoffhersteller Bavarian Nordic einen Vertrag über die Lieferung von 2 Millionen Impfdosen abgeschlossen. Darüber hinaus stehen über den Mechanismus RescEU Impfstoffdosen im Wert von ca. 86 Millionen Euro zur Verfügung. Diese werden durch Verträge ergänzt, die die einzelnen Mitgliedstaaten abgeschlossen haben. Neben der Sicherung von Impfstoffen hat die Europäische Union nach Corona auch die Strukturen im Europäischen ‚Gesundheitsamt‘ ECDC und bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA gestärkt“, betonte Liese.

Liese bedauerte, dass die Mitgliedstaaten bisher nicht bereit waren, eine europäische Antwort auf Mpox zu geben: „Bei Corona hat es viele Menschen sehr verunsichert, dass es unterschiedliche Reiseempfehlungen und unterschiedliche Impfempfehlungen je nach Mitgliedstaat gab. Dies sollten wir nicht wiederholen. Die Mitgliedstaaten sollten beispielsweise rechtzeitig gemeinsam die Impfempfehlung anpassen, wenn sich bestätigt, dass die Risikogruppe deutlich größer ist als beim Ausbruch der sogenannten Klade II in 2022.“ Liese teilte mit, dass er im Namen seiner Fraktion beantragt hat, das Thema auf die Tagesordnung des Ausschusses für Umwelt und Gesundheit im Europäischen Parlaments zu setzen.

„Insgesamt sind wir meilenweit von einem ‚Corona‘-Szenario entfernt, auch wenn ich die Äußerung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ‚Keine Panik‘ unglücklich finde, denn Panik ist niemals angesagt. Man muss klar feststellen, dass nach allem, was wir wissen, die Gefahr durch Mpox heute viel geringer ist als die Gefahr durch Covid-19 in den Jahren 2020 und 2021:

1. Mpox sind nicht so einfach übertragbar. Es sind keine Superspreader-Events zu erwarten.
2. Die Todesrate ist sehr wahrscheinlich geringer als durch die Ursprungsvariante des Coronavirus.
3. Wir haben nicht nur eine Impfung, sondern auch eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung, weil in Deutschland bis 1976 (BRD) bzw. 1982 (DDR) gegen die sogenannten Kuhpocken geimpft wurde und diese Impfung auch einen gewissen Schutz gegen Mpox mit sich bringt.

Die Kuhpocken, die in der Menschheitsgeschichte Millionen von Todesfällen verursacht haben, sind übrigens ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit von Impfungen. Durch gezielte Impfkampagnen auf der ganzen Welt gelten sie mittlerweile als ausgerottet. Statt Panik brauchen wir also Wachsamkeit und gezieltes Handeln. Die Situation ist ernster als bei dem Ausbruch 2022. Damals ging es um die sogenannte Klade II. Die jetzt verbreitete Klade I ist leichter übertragbar und das Risiko beschränkt sich nicht auf die damaligen Risikogruppen, nämlich Männer, die Sex mit Männern haben. Auch durch heterosexueller Geschlechtsverkehr und anderweitigen engen Körperkontakt ist die Übertragung möglich. Insbesondere muss uns Sorgen machen, dass in Afrika so viele Kinder betroffen sind. Auch ist der Virus deutlich tödlicher als die Variante von 2022“, erklärte Liese.

„In den deutschen und europäischen Lebensverhältnissen und durch unser gutes medizinisches System ist unser Risiko eher gering. Das viel größere Problem besteht in Afrika. Solidarität mit Afrika ist ein absolutes Gebot der Menschlichkeit und es ist auch in unserem eigenen Interesse. Wir können durch gezielte Hilfen in Afrika nicht nur den Ausbruch komplett in den Griff bekommen, sodass sich das Risiko in Deutschland und Europa dann auch auf nahe null reduzieren würde. Es ist insbesondere wichtig, diese Länder in geopolitisch schwierigen Zeiten nicht alleine zu lassen. Partnerschaften zur Bekämpfung der Fluchtursachen und illegaler Migration sind ebenso wichtig wie Partnerschaften im Konflikt mit Russland, China und anderen potenziellen Konflikten. Darüber hinaus brauchen wir z.B. auch Rohstoffe aus Afrika und auch das spricht dafür, dass wir jetzt solidarisch sind. Es ist wichtig, dass wir nicht nur an uns denken und deswegen unterstütze ich, dass die Europäische Union über 215.000 Dosen Impfstoff[1] in die betroffenen Länder schickt. Die zur Verfügungstellung von Impfstoffen reicht jedoch keinesfalls aus. Die Weltgemeinschaft muss auch dafür sorgen, dass der Impfstoff zu den Menschen kommt, die ihn am dringendsten benötigen und unter korrekten Bedingungen verimpft wird. Die medizinische Versorgung in Afrika und anderen Entwicklungsländern zu verbessern bleibt eine langfristige Aufgabe“, so der Arzt, der eine Zeit lang in einem Entwicklungsland gearbeitet hat.

 

[1] 175.420 Impfdosen sind von der Europäischen Union aus dem Programm EU4Health gemeinsam beschafft worden, 40.000 Dosen hat die Herstellerfirma nach Verhandlungen mit der Europäischen Kommission als Spende zur Verfügung gestellt.