Kritik an Impfstrategie wohlfeil, weil noch vor wenigen Wochen nicht klar war, wie die Situation jetzt aussieht / Vorbild für den Kampf gegen Covid-19 ist Irland, nicht Großbritannien / Voraussichtlich Ende Februar werden pro Kopf mehr EU-Bürger geimpft sein als Briten / Maßnahmen gegen das Virus notwendig, weil bis Februar weltweit nur ein kleiner Teil der Bevölkerung geimpft werden kann


„Die Kritik, dass die Europäische Kommission nicht genügend Impfstoffe von BioNTech und Moderna gekauft habe, ist wohlfeil“, dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP, Christdemokraten) Dr. med. Peter Liese.

„Es mag zwar sein, dass die Möglichkeit bestand mehr Impfstoff zu bekommen, aber jeder, der jetzt kritisiert, sollte sich die Frage stellen, ob er vor einigen Wochen wusste, wie jetzt die Situation ist. Die Impfstoffe von BioNTech und Moderna sind die besten, aber das wissen wir erst seit wenigen Wochen. Sie sind im Handling schwerer, zum Beispiel bei BioNTech -70° und sehr viel teurer, als etwa der Impfstoff von AstraZeneca und deswegen ist es verständlich, dass vor allem viele osteuropäische Staaten die Kommission gedrängt haben, weniger BioNTech und Moderna Impfstoff und dafür mehr Impfstoff von AstraZeneca zu bestellen. Ich finde die Europäische Kommission macht in dieser Frage einen guten Job und jeder, der meint er könnte es besser als Ursula von der Leyen und ihr Team, sollte sich prüfen, wenn er es dann nach der Prüfung immer noch meint, er könnte es besser, soll er sich noch mal prüfen, bevor er eine solche Aussage macht“, so Liese.


"Das Vorbild für den Kampf gegen Covid-19 ist Irland, nicht Großbritannien", so der Europaabgeordnete und Arzt. Liese sagte, dass ein etwas früherer Start der Impfkampagne in Großbritannien keinen wirklichen Unterschied im Kampf gegen die Pandemie machen wird. „In den nächsten zwei oder drei Monaten wird kein Land der Welt genug Impfstoff haben, um beim Kampf gegen die Pandemie wirklich etwas bewirken zu können. Es ist wichtig, die Risikogruppe zu priorisieren, aber da der Impfstoff weltweit knapp ist, wird es vor Februar oder März nicht genug geben, um alle Personen der Risikogruppen zu impfen, und schon gar nicht in Großbritannien. Deshalb ist es wichtig, die bestehenden Maßnahmen gegen das Virus weiter aufrechtzuhalten, das bedeutet riskante Kontakte zu reduzieren. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass London am Dienstag dieser Woche einen Lockdown angeordnet hat, obwohl die Briten bereits in der Woche zuvor mit den Impfungen begonnen haben“, so Liese.

„Das Vorbild der Pandemiebekämpfung ist Irland, denn obwohl sie im Oktober sehr hohe Zahlen hatten, viel höher als in anderen europäischen Ländern (7 Tage-Inzidenz im Oktober 165), sind sie nach Einführung sehr intelligenter Maßnahmen zur Reduzierung der Last des Virus auf einen Inzidenzwert von 46 gesunken. Meiner Meinung nach ist es besonders nachhaltig, wenn die Kontakte daheim stark begrenzt werden, sprich, wenn man zu Hause gar keine anderen Personen mehr treffen darf. Ausnahmen sollte es natürlich, wie in Irland, für Menschen geben, die unter diesen Umständen sonst zu Hause isoliert wären. In Irland ist es jedoch erlaubt, Personen im Freien zu treffen. Das Virus breitet sich in geschlossenen Räumen 18-mal leichter aus als im Freien. Die meisten anderen europäischen Länder haben bei ihren Maßnahmen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu wenig berücksichtigt. Zusätzlich gab es in Irland eine strikte Verpflichtung, Home-Office zu machen, wann immer möglich. Mit diesen konkreten Maßnahmen hat Irland die Zahlen nach unten gebracht und der irische Vize-Regierungschef Leo Varadkar sagte letzte Woche in der EVP-Fraktion, dass es Tage gab, an denen sogar niemand an Covid-19 starb. In Irland konnten sogar wieder Restaurants und Fitnessstudios öffnen. Dies ist genau der richtige Weg und sollte auch anderen europäischen Ländern als Vorbild dienen“, so Liese.

Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, zitierte Liese die öffentlich zugänglichen Zahlen zum Impfstoffvertrag von Großbritannien und der EU. „Während die Menge an Impfstoff, die die EU und Großbritannien vom ersten zugelassenen Impfstoff BioNTech/Pfizer erhalten pro Kopf ziemlich ähnlich sind (0,67 zu 0,61 / 300 Mio. Dosen für EU - 40 Mio. Dosen für UK) hat die EU für den zweiten Impfstoff, der wahrscheinlich am 6. Januar in der EU zugelassen wird, viel mehr Impfstoff reserviert. Uns stehen dreimal mehr Impfstoff von Moderna zur Verfügung (0,36 zu 0,11 - 160 Mio. für EU - 7 Mio. Dosen für UK). Von der Firma CureVac, die mit der klinischen Prüfung der Phase 3 bereits begonnen hat und im Frühjahr mit einer Zulassung rechnet, bekommt die Europäische Union 405 Millionen Dosen, das Vereinigte Königreich hat überhaupt keinen Vertrag mit CureVac abgeschlossen. Das Projekt von AstraZeneca, eine britisch-schwedische Firma, gemeinsam mit der Universität Oxford, hat durch Fehler bei den klinischen Prüfungen und geringe Wirksamkeit zuletzt Rückschläge erlitten und es ist unklar, wann die Firma überhaupt eine Zulassung stellt“, so Liese.

„Das wird im Frühjahr einen großen Unterschied machen. Ich bin optimistisch, dass alle EU-Bürger, die zur Risikogruppe gehören sowie das medizinische Personal die Möglichkeit haben, sich vor Ende März impfen zu lassen. Damit wird die Pandemie schnell ihren Schrecken verlieren. Wenn wir dem irischen Beispiel folgen, können wir bis Ende Januar die Zahlen senken und vieles wieder öffnen. Wenn wir dann die meisten Menschen in der Risikogruppe und das medizinische Personal geimpft haben, ist zusammen mit dem Frühjahrseffekt ein viel normaleres Leben ab April oder Mai möglich. Selbst dann wird die Pandemie noch nicht vorbei sein, denn es ist auch wichtig, Menschen zu impfen, die nicht zur Risikogruppe gehören, und ich kann nicht sagen, ob dies bis zum September oder November geschehen wird. Wir müssen geduldig sein, aber es gibt definitiv Licht am Ende des Tunnels: Im Januar, im April und im Herbst“, so Liese.