Die Sorgen der Menschen und der Kommunen ernst nehmen


Wie können Humanität und Zuwanderung bei der Migration zusammengebracht werden?


Viele Menschen machen sich völlig zurecht Sorgen, wie unser Land den großen Andrang von Flüchtlingen bewerkstelligen kann. In den ersten sechs Monaten des Jahres sind rund 519.000 Asylanträge verzeichnet worden. Seit 2016 hatten nicht mehr so viele Menschen in Europa Asyl beantragt. In vielen Städten und Gemeinden sind die Kapazitäten erschöpft. Es gibt wieder Planungen, Turnhallen für den allgemeinen Sport oder den Schulsport zu schließen, weil das die einzige Möglichkeit der Unterbringung ist. Schulen und Kindergärten sowie die kommunalen Finanzen sind extrem belastet. Ein Drittel der Asylanträge, die in der gesamten EU gestellt werden, werden in Deutschland gestellt. Die meisten Asylanträge in Deutschland stellten Menschen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak, Iran, Georgien, Russland, Somalia und Eritrea1.

 


Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern in Deutschland bis August 20232
 


 

 

Nach Auskunft von EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen3 wird in den Prüfverfahren festgestellt, dass es nur bei 42% der Antragsteller einen Asylgrund oder einen anderen Anspruch nach Genfer Flüchtlingskonvention gibt. Das heißt, die Mehrheit der Antragsteller sollten sich nach geltendem Recht nicht in der Europäischen Union befinden. Weil ich selbst jahrelang in der Kommunalpolitik gearbeitet habe, nehme ich die Sorgen der Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sehr ernst.


Als überzeugter Christ bin ich davon überzeugt, dass jedem Menschen eine Würde zukommt. Gerade die CDU als C-Partei muss mit dem Thema sorgfältig umgehen. Gleichzeitig stimmt der Satz des früheren Bundespräsidenten und evangelischen Theologen Joachim Gauck: „Unser Herz ist groß, aber unsere Mittel sind begrenzt“. Es muss vor allen Dingen klar sein, dass in der jetzigen Situation nicht diejenigen nach Deutschland und Europa kommen, die unseren Schutz am nötigsten brauchen. Nicht humanitärer Organisationen oder unabhängige Gremien oder demokratisch gewählte Institutionen entscheiden, wen wir aufnehmen, sondern die Schlepperinnen und Schlepper. So wichtig es ist, den Menschen in Afghanistan zu helfen, so sehr stellt sich doch die Frage, warum 80% der Menschen, die aus Afghanistan nach Deutschland kommen, Männer sind, wo doch die Frauen in diesem Land eindeutig am meisten leiden. Auch bei den Menschen, die aus für sie persönlich berechtigten Gründen nach Deutschland und Europa kommen, weil sie sich ein besseres Leben wünschen, helfen wir nicht den Ärmsten der Armen, sondern denjenigen, die das Geld haben, die Schlepper zu bezahlen und die stark genug sind, sich durchzuschlagen.

 

Europäische Lösung zum Greifen nah - historischer Kompromiss möglich

Seit vielen Jahren ringt Europa um einen Kompromiss. Die Europäische Kommission hat in der Verantwortung von Präsidentin Ursula von der Leyen und Vizepräsident Margaritis Schinas - beide gehören der christdemokratischen EVP an - schon am 23. September 2020 ein umfassendes Paket vorgelegt. Dort sind im Wesentlichen zwei Prinzipien berücksichtigt:

1. Ein deutlich besserer Schutz der Außengrenzen.

Insbesondere sollen Zentren an den Außengrenzen errichtet werden, in denen Menschen, die aus Ländern stammen, die eine niedrige Anerkennungsquote haben, in einem zügigen Verfahren abgearbeitet werden und im Falle einer negativen Entscheidung zurückgeschickt werden.

2. Soll ein Verteilmechanismus für Flüchtlinge in der Europäischen Union beschlossen werden, um die Last annähernd gleich zu verteilen. Im Detail verhandeln die europäischen Institutionen zurzeit über fünf Verordnungen:

•    die Eurodac-Verordnung (Datenbank zur Speicherung von Fingerabdrücken),
•    die Screening-Verordnung (Abnahme von Fingerabdrücken, Gesundheits-und Sicherheitscheck),
•    das reformierte Grenzverfahren,
•    die Asyl- und Migrationsmanagementverordnung (in welcher die Solidaritätsfrage steckt),
•    sowie der Krisenmechanismus.

Das Europäische Parlament hat sich am 20.04.2023 zu der Frage positioniert - der Ministerrat am 09 Juni 2023.
Auf Ebene des Ministerrats war bis zuletzt die sogenannte Krisenverordnung strittig, die nach Ansicht von Kommission, Europäischem Parlament und der Mehrheit der Mitgliedstaaten ein unverzichtbarer Bestandteil des Paketes ist. Nach langen Schwierigkeiten und einer Blockade durch Deutschland hat sich der Ministerrat jetzt auf einen Text zur Krisenverordnung geeinigt.

Nicht nur Grüne, sondern auch Sozialdemokraten extrem zerstritten und Hindernis bei der historischen Lösung in Europa

Es ist bekannt, dass die deutschen Grünen in der Frage der europäischen Flüchtlingspolitik massiv zerstritten und zerrissen sind. Während Annalena Baerbock als Außenministerin den Kompromiss mitverhandelt hat und Co-Vorsitzender Omid Nouripour ihn unterstützt, haben die Co-Vorsitzende Ricarda Lang, die jungen Grünen und viele andere massiv Kritik geübt. Die Kritik wird auch in weiten Teilen der grünen Fraktion des Europäischen Parlaments geteilt, was die Verhandlungen sehr schwierig macht. Bisher wenig bekannt ist, dass auch die SPD-Gruppe im Europäischen Parlament und die Sprecherin der gesamten Sozialdemokraten aus ganz Europa im zuständigen Innenausschuss, die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel, nicht hinter der Einigung stehen - „Wir waren schon mit dem Vorschlag der Kommission nicht völlig einverstanden. Was der Rat auf den Weg gebracht hat, ist eine weitere Verschärfung“ (16.06.2023)4. Aus Sicht der EVP-Fraktion sollte insbesondere beim Schutz der Außengrenzen und der schnellen Abarbeitung von Menschen aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote das Parlament nicht auf seiner Position bestehen, sondern für eine schnelle Einigung sorgen. Dem steht aber die Position der sozialdemokratischen Fraktion, insbesondere von Frau Sippel entgegen.


Was jetzt geschehen muss?

1. Der Kompromiss, den der Ministerrat im Juni erzielt hat, sollte im Wesentlichen Basis für die Einigung sein

Sozialdemokraten, Grüne und Linke im Europäischen Parlament sollten ihre Bedenken angesichts der dramatischen Lage zurückstellen. Die historische Chance darf nicht durch Ideologie verpasst werden.
(...Krisenverordnung)

2. Partnerschaftsabkommen mit Drittstaaten zur Migration inklusive Rückführung von Flüchtlingen

Es ist wichtig, dass die Europäische Union ein Abkommen mit der Türkei gemacht hat, um vor allem den syrischen Flüchtlingen vor Ort besser zu helfen und gleichzeitig die Zahl der Menschen, die nach Europa kommen, zu reduzieren. Es muss versucht werden, dieses Abkommen wieder mit Leben zu erfüllen. Das war der wesentliche Grund dafür, dass die Zahlen zwischen 2016 und 2020 erheblich zurückgegangen sind. Ähnliche Abkommen müssen mit den nordafrikanischen Staaten geschlossen werden und die EU ist dabei insbesondere mit Tunesien, von wo zurzeit die meisten Flüchtlinge nach Italien kommen, auf einem guten Weg. Wir können uns unsere Partner in der Welt leider nicht immer aussuchen. Um Probleme zu lösen, muss man auch mit Regierungen reden, die unsere Menschenrechtsstandards nicht einhalten. Natürlich muss in jedem Gespräch auf Humanität und Menschenrechte hingewiesen werden. Weder die Gespräche noch die Abkommen können davon abhängig gemacht werden, dass die Situation nach unseren Vorstellungen perfekt ist.


3. Nationale Maßnahmen, die sich in anderen Ländern bewährt haben

Auch wenn der Kompromiss auf europäischer Ebene zügig beschlossen wird, wird er nicht unmittelbar zu einer dramatischen Entlastung führen, da die Regeln zunächst umgesetzt werden müssen. Es erschließt sich von selbst, dass Zentren an den Außengrenzen nicht in einer Woche aufgebaut werden können. Daher ist es in der Übergangszeit dringend erforderlich, Maßnahmen auf nationaler Ebene zu treffen.

Dazu gehört:

A) Die schnellstmögliche Einrichtung von stationären Grenzkontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien und Deutschland und Polen. Experten der Grenzpolizei, wie zum Beispiel der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Bundespolizei, Heiko Teggatz, legen klar da, dass dies eine erhebliche Entlastung für die Kommunen bringen kann. An der deutsch-österreichischen Grenze gibt es diese Kontrollen seit 2015. Sie werden in einer Art und Weise durchgeführt, dass Touristen und Menschen, die beruflich unterwegs sind, kaum davon betroffen sind. Nach Auskunft von Herrn Teggatz wurden an der deutsch-österreichischen Grenze allein in diesem Jahr 17000 Personen herausgefiltert und zurückgeschickt. Meine Kollegen im Europäischen Parlament aus anderen Ländern, zum Beispiel der Berichterstatter zum Asyl- und Migrationsmanagement, Tomas Tobé aus Schweden sagen ganz klar, dass die Staaten die wie Schweden, die viele Jahre lang von ähnlich hohen Zahlen herausgefordert waren wie Deutschland seit der Einführung von Grenzkontrollen wesentlich weniger Ankömmlinge zu verzeichnen hat. Dies sei die entscheidende Maßnahme gewesen.



B) Sofort mehr Hilfen für die Kommunen vom Bund. 2016 hat der Bund noch etwa 40 Prozent der Kosten für Flüchtlinge übernommen, 2022 sind es nur noch 23 Prozent gewesen und im laufenden Jahr liefen die Zusagen auf etwa 19 Prozent hinaus5. Auch wenn die finanziellen Mittel auf allen Ebenen knapp sind, muss klar sein, dass der Bund hier in der Verantwortung steht. Flüchtlingspolitik ist in erster Linie Bundessache und die zögerliche Haltung der Bundesregierung führt zu unmittelbaren Belastungen der Kommunen. Während der CDU/CSU geführten Bundesregierung gab es pro Kopf Geflüchteten deutlich mehr Mittel.

C) Die zügige Festlegung von weiteren sicheren Drittstaaten. Nach langem Zögern hat sich die Ampel darauf geeinigt, Moldawien und Georgien als sichere Drittstaaten einzustufen. Diese Länder wollten das schon länger und sind Beitrittskandidaten zur Europäischen Union.
Immer noch gibt es Widerstand der Grünen gegen die Anerkennung der Maghreb-Staaten (Tunesien, Algerien, Marokko), sowie Indien als sichere Drittstaaten. Auch wenn die Mehrheit der
Ankommenden aus anderen Ländern kommt, so muss doch jede Möglichkeit der Entlastung für die Kommunen genutzt werden.

D) Zügige Überprüfung der Sozialleistungen für Geflüchtete. Ein Drittel der Asylanträge in der gesamten Europäischen Union werden in Deutschland gestellt. Nach Ansicht vieler Experten und vieler meiner Kollegen im Europäischen Parlament liegt das an den sehr hohen Sozialleistungen in Deutschland. Auf dieses Problem hat Friedrich Merz zurecht hingewiesen6. Viele Kollegen sind skeptisch bezüglich einer besseren Verteilung der Flüchtlinge in der Europäischen Union, weil sie sagen: „Die Leute wollen doch nach Deutschland“. Deswegen muss hier dringend geprüft werden, was auch angesichts der Verfassungsrechtsprechung möglich ist. Die Umstellung von Geldleistung auf Sachleistung oder Bezahlsysteme kann ebenfalls ein wichtiger Beitrag sein.

4. Fluchtursachenbekämpfung. Seit über 30 Jahren engagiere ich mich in der Entwicklungshilfe, unter anderem als stellvertretender Vorsitzender des Vereins Esperanza, der Schulen in Guatemala baut7. Seit vielen Jahren bin ich darüber hinaus Mitglied des Kuratoriums in der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW). Mit meinem Engagement für Pakistan habe ich schon als Schüler Entwicklungshilfe unterstützt. Als Mitglied des Kolpingwerks engagiere ich mich gemeinsam mit dem europäischen Kolpingwerk für die Hilfe für Menschen in der Ukraine, die innerhalb des Landes vor dem Krieg geflüchtet sind8. Bereits 2015 habe ich gemeinsam mit meinem damaligen Kollegen Elmar Brok eine Stabsstelle für Fluchtursachenbekämpfung im Kanzleramt gefordert. Die Illusion, dass jeder, dem es schlecht geht, nach Deutschland beziehungsweise Europa kommen kann, löst kein Problem in den Herkunftsländern. Wir haben aber eine moralische Verantwortung, gerade als Partei mit dem C im Namen, den Menschen vor Ort möglichst gut zu helfen. Mit unserer Flüchtlingspolitik erreichen wir nicht die Frau, die mit ihren Kindern in einem Flüchtlingslager im Sudan lebt und noch nicht mal genug zu trinken, geschweige denn zu essen hat. Deutschland muss seine Leistungen für humanitäre Hilfe erhöhen und wesentlich aktiver sein. Die Kürzung des Entwicklungshilfeetats ist in diesem Zusammenhang ein katastrophales Zeichen. Ich bin im Gespräch mit den Verantwortlichen für Außen- und Entwicklungspolitik sowohl in Berlin als auch in Brüssel, um das Thema intensiv voranzubringen.

5. Trennung von Zuwanderung auf der Basis des Asylrechts und Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. In der Diskussion wird oft zurecht gesagt, wir brauchen aber doch Zuwanderung. Die Vertreter vor Ort beschreiben jedoch, dass es extrem schwierig ist, die Menschen die über das Asylrecht kommen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auf der anderen Seite ist es extrem schwierig ist die Menschen, die bereits einen Arbeitsvertrag haben, nach Deutschland zu bekommen. Die Abläufe müssen hier effizienter und klarer werden.

Hintergrundpapier als PDF

 

 

1 https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-juli-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=4
2 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154287/umfrage/hauptherkunftslaender-von-asylbewerbern/
3 Rede bei Fraktionsklausurtagung der EVP Fraktion am 28.9.2023
4 https://vorwaerts.de/artikel/eu-asylreform-noch-harte-verhandlungen-bevorstehen
5 https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-unterbringung-101.html
6 https://www.welt.de/politik/ausland/plus247729354/Migration-Nur-in-Deutschland-drohen-abgelehnten-Asylbewerbern-keine-Leistungseinbussen.html
7 https://www.esperanza.de/wie-alles-begann/
8  https://peter-liese.de/images/Spendenaufruf_Ukraine_Kolping_16012023.pdf