An allen Stellschrauben drehen, um zu verhindern, dass weiter 35.000 Menschen oder mehr jährlich sterben/starker Anreiz für Entwicklung neuer Antibiotika/ Sorgfältiger Umgang in Tiermedizin und Humanmedizin


„Wir müssen unbedingt handeln, damit weniger Menschen an antibiotikaresistenten Keimen sterben. Es ist ein Skandal, dass 35.000 Menschen jährlich (Tendenz steigend) in der Europäischen Union sterben, weil Antibiotika ihre Wirkung verlieren“, dies erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP-Christdemokraten, Dr. Peter Liese) anlässlich der Abstimmung über das sogenannte Pharmapaket im Europäischen Parlament am Mittwoch.

Prof. Dr. med. Volkhard Kempf von der Universitätsklinik Frankfurt schilderte in dramatischen Worten, wie es in seiner Klinik regelmäßig zu Todesfällen kommt, weil Menschen an Keimen leiden, gegen die kein Antibiotikum mehr wirkt: „Es handelt sich hier keineswegs um eine stille Pandemie. Das Problem der hochresistenten Erreger ist seit Jahren bekannt. Diese Erreger sind nicht wählerisch. Wir beobachten solche Infektionen in allen Altersgruppen und auch bei Personen, die keine Reisen in Länder mit hoher Prävalenz von Antibiotikaresistenzen unternommen haben. Die Chance an einer derartigen Infektion zu sterben ist sehr hoch, weil keines der gängigen Antibiotika wirkt.“


Das Parlament will nun mit zwei wichtigen Ideen dagegen vorgehen. Erstens, der Einsatz von Antibiotika soll strenger reguliert werden. In der Regel sollte vor der Verabreichung eines Antibiotikums eine Diagnostik erfolgen, wenn dies nicht möglich ist, weil zum Beispiel ein Notfall vorliegt und die Diagnostik zu lange dauern würde, muss dies begründet werden. „Als ich 1991 meine Arbeit in der Kinderklinik Paderborn begonnen habe, hat mir der Chefarzt schon klar gesagt, dass ein Einsatz von Antibiotika nur in Frage kommen sollte, wenn wir vorher eine Diagnostik durchgeführt haben. In vielen Praxen ist dies bis heute nicht der Fall. Mittlerweile gibt es auch durch die Unterstützung der Europäischen Union Schnelltests, die zumindest einen groben Hinweis geben. Diese Tests müssen stärker eingesetzt werden und vom Gesundheitssystem der Mitgliedstaaten auch finanziert werden“, so Liese.

Außerdem soll der Einsatz von Antibiotika, wie dies in der Tiermedizin bereits geschieht, auch in der Humanmedizin in Zukunft überwacht werden und aus dieser Überwachung sollen konkrete Hinweise für die Mitgliedstaaten erarbeitet werden. Weiterhin soll jedem Antibiotikum eine Awareness-Karte beigelegt werden. Damit soll Patientinnen und Patienten klar und eindeutig signalisiert werden, dass sie die Antibiotika nur einnehmen dürfen, wenn sie ihnen persönlich verschrieben wurden und dass sie auch die vorgeschlagene Dauer der Therapie unbedingt einhalten müssen, um Resistenzbildung zu vermeiden. Zudem soll europaweit festgeschrieben werden, dass Antibiotika in jedem Land verschreibungspflichtig sind. Dies war bisher nicht flächendeckend der Fall.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist ein Anreizsystem, um neue Antibiotika auf den Markt zu bringen. „In den letzten Jahrzehnten gab es praktisch keine neuen Antibiotika. Dies liegt daran, dass aus gutem Grund neue Antibiotika sehr restriktiv eingesetzt werden. Sie gehören im Prinzip in den Panzerschrank. Wenn von einem Medikament allerdings nur wenige Verpackungen verkauft werden können, dann gibt es in der Regel keine Refinanzierung für die Kosten, die bis zu einer Milliarde Euro betragen können. Das Parlament unterstützt im Wesentlichen einen Vorschlag der Europäischen Kommission, der ein sogenanntes Gutschein- (Englisch: Voucher-)System vorsieht. Unternehmen, die ein neues Antibiotikum auf den Markt bringen, erhalten einen Gutschein, den sie auch an andere Firmen verkaufen können. Das heißt, das Antibiotikum wird zwar nur in kleiner Stückzahl verkauft, aber andere Medikamente, die in größerer Stückzahl verkauft werden können, erhalten dann, wenn die Firma diesen Gutschein verkauft, ein Jahr länger Marktexklusivität. Das heißt, Generika kommen entsprechend später auf den Markt“, erklärte Liese.

„Der Vorschlag der Kommission ist auf heftige Kritik bei vielen Mitgliedstaaten, bei vielen Abgeordneten und vor allem bei den Kostenträgern gestoßen. Trotzdem hat der Ausschuss für Umwelt und Gesundheit ihn mit großer Mehrheit angenommen. Ich bin sehr froh, dass sich der Vorschlag trotz Gegenwind durchgesetzt hat. All die Kritiker hatten kein überzeugendes Alternativkonzept, wie wir die 35.000 Menschenleben retten können. Selbst wenn wir Antibiotika ab morgen in Tiermedizin und Humanmedizin extrem restriktiv einsetzen, werden die Resistenzen nicht verschwinden und wir brauchen neue Antibiotika. Deswegen ist das Kostenargument nicht zielführend. Ich finde es ist nicht verantwortlich, den Angehörigen dieser vielen Toten in den nächsten Jahren zu sagen, ‘wir hätten zwar einen Vorschlag gehabt, aber es war uns zu teuer‘ “, bekräftigte der Arzt und Europaabgeordnete.